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SG Dresden: Kodierung SIRS - Kein Nachweis der Lebensbedrohlichkeit bei Vorliegen einer absoluten Thrombozytopenie erforderlich

Das SG Dresden bestätigte mit seinem Gerichtsbescheid vom 19.0 Mai 2021, Az.: S 25 KR 2629/19, dass die Lebensbedrohlichkeit einer Thrombozytopenie bereits bei Erreichen der in der Definition des SIRS durch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und die Deutsche Sepsis-Gesellschaft (DSG) festgelegten Grenzwerte feststeht und keiner erneuten Prüfung bedarf.

Sachverhalt

Das Krankenhaus behandelte den Patienten vom 09. Mai 2016 bis zum 12. Mai 2016. Unstreitig wurde der Patient mit Tachykardie und Tachypnoe stationär aufgenommen. Im Aufnahmelabor zeigte sich eine Thrombozytopenie mit 99 Gpt/l. Die abgenommenen Blutkulturen waren jeweils negativ. Das Krankenhaus kodierte als Hauptdiagnose den ICD-Kode A41.9 und die Nebendiagnose R65.0!, da es von einer Organkomplikation (Thrombozytopenie) ausging.

Der MDK kam zu dem Ergebnis, dass eine Sepsis nicht verschlüsselt werden könne, da die nachgewiesene Thrombozytopenie nicht als lebensbedrohlich einzustufen sei. Sie sei am Folgetag nicht mehr nachweisbar gewesen. Eine Organkomplikation im Sinne der SIRS-Kriterien läge daher nicht vor.

Entscheidungsgründe

Das SG Dresden gab der Klage des Krankenhauses statt.

Zur Begründung ging es einleitend auf die im Februar 2020 veröffentlichte S3-Leitlinie „Sepsis – Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge" ein und stellt fest, dass die für die aktuelle Sepsisdefinition entwickelten diagnostischen Kriterien zum Behandlungszeitpunkt noch nicht durch die einschlägigen Fachkreise allgemein rezipiert waren. Für den Zeitraum 2016 bis 2019 seien daher weiterhin die 2007 eingeführten SIRS-Kriterien der DIVI und der DSG maßgeblich.

Weiter stellte das SG Dresden fest, dass die Festlegung konkreter Grenzwerte in den SIRS-Kriterien für das Vorliegen einer relevanten Organdysfunktion unsinnig wäre, wenn gleichwohl nach völlig unbestimmten Kriterien nochmals das daraus resultierende vitale Risiko bewertet werden müsste. Die vom DIMDI aufgegriffenen Kriterien seien entwickelt worden, um komplexe und nach Ursache und (Wechsel-)Wirkung schwierig zu beurteilende somatische Zustände und Kenngrößen so für den klinischen Alltag zu operationalisieren, dass mit möglichst wenig Aufwand patientennah und in kurzer Zeit die entscheidenden Weichenstellungen für die weitere Therapie getroffen und lebensbedrohliche Situationen vermieden bzw. schnell überwunden werden können.

Die diagnostischen Vorgaben zu den Organdysfunktionen erlauben anhand der eindeutigen Grenzwerte eine solche schnelle und sichere Beurteilung. Daher seien die klaren und eindeutigen Kriterien für das Vorliegen der Organdysfunktion als abschließender Katalog der Merkmale einer lebensbedrohlichen Organkomplikation zu interpretieren. Für eine zweistufige Prüfung mit einer zusätzlichen Risikoeinschätzung ohne klare diagnostische Maßstäbe sei daneben nach den Erfordernissen des klinischen Alltags kein Raum.

Das Vorliegen einer Thrombozytopenie < 100 Gpt/l allein reiche aus, um ein infektiöses SIRS als schwere Sepsis bzw. Sepsis mit Organkomplikation zu qualifizieren. Dies werde durch die internationalen diagnostischen Standards bestätigt, und gelte auch, obwohl die in der Definition aufgegriffene Schwelle von < 100 Gpt/l noch erheblich über den Werten liege, unter denen ein akutes Blutungsrisiko drohen würde. Dies sei aber nicht Ziel des Grenzwertes. Dieser spiegle vielmehr das allgemein gesteigerte Mortalitätsrisiko der Organbeteiligung auf Grund einer Sepsis wieder.

Hierfür spreche auch der SOFA-Score, der bereits zum Behandlungszeitpunkt allgemein anerkannt war. Schließlich werde dort ein Abfall der Thrombozytenzahl auf < 100 Gpt/l mit zwei Risikopunkten bewertet. Eine sepsisbedingte Organdysfunktion sei wiederum bei einer Änderung um mindestens zwei Punkte im SOFA-Score anzunehmen.

Fazit

Die hier relevanten SIRS-Kriterien wurden mit Wirkung zum 01. Januar 2020 geändert, sodass diese Entscheidung für Behandlungsfälle ab dem Jahr 2020 keine Relevanz mehr hat. Bedeutung erlangt sie aber für die Vielzahl von Abrechnungsstreitigkeiten aus den Behandlungsjahren vor 2020, die die Kodierung eines SIRS zum Gegenstand haben und klärt eine bisher nicht entschiedene Frage.