Das BSG hat am 12. Juni 2025 in Sachen B 1 KR 40/24 R und B 1 KR 8/24 R Anforderungen an die leistungsrechtliche Entscheidung nach § 8 PrüfvV konkretisiert.
Beleuchtet wurden die Bindungswirkung der Krankenkasse an die von ihr innerhalb der Frist nach § 8 S. 3 PrüfvV benannten wesentlichen Gründe im gerichtlichen Verfahren und die Nachteile, wenn eine Krankenkasse die Übermittlung wesentlicher Gründe binnen der vorgenannten Frist nicht beweisen kann.
1. B 1 KR 40/24 R: Kein Austausch von Gründen durch die Krankenkasse im gerichtlichen Verfahren
Sachverhalt
Die beklagte Krankenkasse hatte den MDK im Jahr 2019 mit einer Prüfung beauftragt und als Prüfgegenstände unter anderem eine primäre und sekundäre Fehlbelegung angegeben. Durchgeführt worden war eine operative Verkleinerung der Nasenmuscheln. Im Gutachten wurde vom MDK die Auffassung vertreten, dass bei unterstellter Indikation eine Behandlung innerhalb der unteren Grenzverweildauer (UGVD) möglich gewesen wäre, sodass die Kürzung von drei Belegtagen empfohlen wurde. Die Krankenkasse kürzte nachfolgend unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK zwei Belegungstage.
Das Krankenhaus erhob daraufhin Klage und begehrte die Zahlung der aufgerechneten Behandlungskosten. Das Sozialgericht Duisburg erhob Beweis durch ein Sachverständigengutachten, wonach der durchgeführte Eingriff aus kosmetischen Gründen erfolgt sei. Die Indikation unterstellt, wäre eine präoperative Aufnahme zwar nicht notwendig gewesen, aber seien die postoperativen Tage zur Nachsorge erforderlich gewesen. Die Krankenkasse vertrat sodann die Auffassung, dass die Klage wegen der vom Sachverständigen angenommenen primären Fehlbelegung bei mangelnder Indikation abzuweisen sei.
Das Sozialgericht Duisburg sprach dem Krankenhaus die begehrte Forderung zu. Obwohl der Sachverständige die medizinische Notwendigkeit der Behandlung verneint hatte, dürfe die Klage nicht wegen einer primären Fehlbelegung abgewiesen werden, weil die Krankenkasse anderenfalls den Grund ihrer leistungsrechtlichen Entscheidung und damit einen Prüfgegenstand im Sinne des § 4 S. 2 PrüfvV (2016) nachträglich austauschen würde. Die von der Krankenkasse angestrengte Berufung blieb ohne Erfolg.
Entscheidung des BSG
Zutreffend schloss sich das BSG den Vorentscheidungen an. Es hob hervor, dass die Krankenkasse mit ihrer abschließenden Entscheidung allein eine sekundäre Fehlbelegung beanstandete und so den beachtlichen Prüfgegenstand wirksam beschränkt habe. Weil die leistungsrechtliche Entscheidung eine verbindliche Feststellung beinhalte, sei die Krankenkasse mit rechtlichen und tatsächlichen Einwänden ausgeschlossen. Für dieses Ergebnis sprächen die durch § 8 S. 1 PrüfvV (2016) angestrebten Ziele einer Filterwirkung und Beschleunigung des Prüfverfahrens.
Fazit
Den Erwägungen des BSG ist vollumfänglich zuzustimmen. Auch Gründe des Vertrauensschutzes sprechen für die Auffassung des Gerichts. Schon das SG Gelsenkirchen, Urteil vom 01. Dezember 2022, Az. S 46 KR 1162/20 hatte hervorgehoben, dass ein Krankenhaus in die Lage versetzt werden müsse, die Erfolgschancen eines Rechtsbehelfs zu prüfen und dass es deshalb im Klageverfahren nicht mit einem Austausch der Begründung für die Kürzung zu rechnen habe.
In welchem Umfang die angegebenen Gründe konkret zu einer Beschränkung führen, wird erst den vollständigen Entscheidungsgründen zu entnehmen sein. So stellt sich etwa die Frage, ob sich eine Krankenkasse bei Verweis nur auf das Gutachten des MD auch innerhalb eines Prüfgegenstandes selbst beschränkt. Gelangt beispielweise der MD zu dem Ergebnis, dass eine Nebendiagnose vorlag, aber kein nach der DKR D003 notwendiger Ressourcenverbrauch entstand, ist fraglich, ob das Vorliegen der Diagnose an sich noch einen im gerichtlichen Verfahren beachtlichen Prüfgegenstand darstellt.
2. B 1 KR 8/24 R: Umfassendes Beweisverwertungsverbot bei verfristeter Mitteilung wesentlicher Gründe
Sachverhalt
In Sachen Az. B 1 KR 8/24 R ließ die Krankenkasse eine Krankenhausabrechnung aus dem Jahr 2015 durch den MDK überprüfen. Im Gutachten vom 10. Februar 2016 nahm er eine primäre Fehlbelegung an, weil die Behandlung auch ambulant möglich gewesen sei. Nachfolgend teilte die Krankenkasse mit einfachem Brief das Ergebnis der Begutachtung und den Erstattungsanspruch mit.
Das Krankenhaus erhob hinsichtlich der aufgerechneten Behandlungskosten Klage und forderte zusätzlich eine Aufwandspauschale. Es trug vor, das MDK-Gutachten sowie eine Leistungsentscheidung habe es nicht erhalten. Die Krankenkasse forderte hilfswiderklagend für den Fall des Erfolgs der Klage die Rückzahlung der Behandlungskosten sowie der Aufwandspauschale. Das Sozialgericht Gelsenkirchen erhob zur Frage der Notwendigkeit einer stationären Behandlung Beweis durch ein Sachverständigengutachten. Danach sei eine stationäre Abklärung zur Durchführung der
erfolgten Untersuchungen gerechtfertigt gewesen. Allerdings sei eine frühere Entlassung möglich gewesen.
Das Sozialgericht Gelsenkirchen sprach dem Krankenhaus die geforderten Behandlungskosten zu und gab der Hilfswiderklage im Umfang der vom Sachverständigen festgestellten sekundären Fehlbelegung statt. So sei die Aufrechnung nach § 9 S. 1 PrüfvV (2014) unwirksam gewesen, weil die Krankenkasse die Mitteilung des Erstattungsbetrages innerhalb der neunmonatigen Frist des § 8 S. 3 PrüfvV (2014) nicht habe beweisen können. Für die Hilfswiderklage sei dieser Umstand aber nicht relevant, weil die Ausschlussfrist des § 8 S. 3 PrüfvV (2014) nur die Möglichkeit einer Aufrechnung von Behandlungskosten nach § 9 S. 1 PrüfvV (2014) beträfe. Da im Ergebnis der Sachverständigenbegutachtung der Abrechnungsbetrag zu mindern war, bestünde kein Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale.
Das Krankenhaus legte mit Erfolg bei dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Berufung ein. Nach Auffassung des Landessozialgerichts handele es sich bei § 8 S. 3 PrüfvV (2014) um eine materielle Präklusionsregelung, sodass eine Krankenkasse den behaupteten Erstattungsanspruch weder aufrechnen noch im Rahmen der Hilfswiderklage durchsetzen könne, weil auch im Klageverfahren eine entsprechende Begründung nicht mehr berücksichtigt werden durfte.
Entscheidung des BSG
Die Revision der Krankenkasse wurde vom BSG zurückgewiesen. Zwar würde das Versäumnis der Krankenkasse, fristgerecht ihre abschließende Entscheidung und den Erstattungsbetrag mitzuteilen, ihren Anspruch nicht ausschließen. Mit Ablauf der Frist des § 8 S. 3 PrüfvV (2014) sei sie aber so zu stellen, als habe sie das Prüfverfahren nicht eingeleitet. Daraus folge ein Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot für Beweismittel, die Gegenstände des Prüfverfahrens betreffen und die der Krankenkasse nur durch die Prüfung des MD zugänglich gemacht werden dürfen. Somit könne die Krankenkasse den Erstattungsanspruch nur auf ihr in anderer Weise rechtmäßig bekannt gewordene Daten stützen. Die angeforderten Behandlungsunterlagen würden wie das darauf gestützte MD-Gutachten und das gerichtliche Sachverständigengutachten einem Beweisverwertungsverbot unterliegen.
Fazit
Durch diese Entscheidung hat das BSG seine bisherige Rechtsprechung zur nicht fristgerechten Beauftragung des MD (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2022, Az. B 1 KR 19/21 R) auf eine weitere Fallkonstellation übertragen. Folgerichtig hat es angenommen, dass für ein nicht durchgeführtes Prüfverfahren keine anderen Maßgaben gelten können als bei einem nicht fristgerechten Abschluss desselben.
Zur Vermeidung von Beweisnachteilen sollten Krankenhäuser bei verfristeter leistungsrechtlicher Entscheidung keine weiteren Unterlagen an die Krankenkasse zum Beleg des Vergütungsanspruchs übersenden, weil freiwillig übersandte Unterlagen dennoch verwertbar sein dürften (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2022, Az. B 1 KR 19/21 R).
Ausblick
Beide Entscheidungen stärken die Rechtsstellung der Krankenhäuser bei der Durchsetzung ihres Vergütungsanspruchs und verleihen dem der PrüfvV innewohnenden Beschleunigungsgrundsatz umfassend Geltung. Da der Wortlaut von § 8 der PrüfvV 2014 bzw. 2016 weitgehend in die aktuelle PrüfvV übernommen wurde, finden die Erwägungen des BSG auch auf leistungsrechtliche Entscheidungen Anwendung, die für Aufnahmen ab dem 01.01.2022 getroffen wurden. Insoweit nach § 8 S. 5 der aktuellen PrüfvV bei versäumter Frist das Verfahren als beendet und die Krankenhausabrechnung als erörtert gilt, folgt daraus zusätzlich eine Präklusion von Einwendungen einer Krankenkasse.