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Bayerisches Landessozialgericht, 19. Januar 2022, Az. L 12 KA 39/20: Keine gesonderte ärztliche Leitung für Erbringung ambulanter Leistungen nach § 118 Abs. 1 SGB V

Hintergrund

Der Berufungsausschuss wies auf Widerspruch der Kassen den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Änderung der Persona der ärztlichen Leitung einer PIA mit der Begründung ab, es müsse sich dabei um eine von der Persona der ärztlichen Leitung des ermächtigten psychiatrischen Fachkrankenhauses unterschiedliche Person handeln. Die hiergegen gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage des Krankenhauses hatte vor dem Sozialgericht München Erfolg; dieses gab der Klage mit Gerichtsbescheid vom 16. Juni 2020 statt. Der BA hat Berufung eingelegt.

Entscheidung des SG München

Das SG München hat die Rechtsauffassung des klagenden psychiatrischen Fachkrankenhauses bestätigt, dass § 118 Abs. 1 SGB V keine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung einer „gesonderten, effektiv verfügbaren ärztlichen Leitung vor Ort“ enthalte.

Aus dem Wortlaut des § 118 Abs. 1 SGB V als Rechtsgrundlage der Ermächtigung lasse sich ein gebundener Anspruch von psychiatrischen Krankenhäusern auf Ermächtigung entnehmen. Unstreitig enthalte der Wortlaut keine weiteren Voraussetzungen, insbesondere keine Anforderung der verfügbaren ärztlichen Leitung vor Ort.

Eine solche Anforderung lasse sich entgegen der Auffassung des BA auch nicht aus dem Sach- und Regelungszusammenhang entnehmen. Der Kläger sei ein in den Krankenhausplan aufgenommenes Krankenhaus, diese Aufnahme entfalte Bindungswirkung für die Zulassungsgremien, auch hinsichtlich des Vorliegens der ärztlichen Leitung gem. § 107 Abs. 1 Nr. 2 SGB V. Gegen die vom BA vertretene Auffassung, dass an jedem Krankenhausstandort eine eigene ärztliche Leitung erforderlich sei, spreche, dass § 107 Abs. 1 Nr. 2 SGB V auch für ein Krankenhaus mit mehreren Standorten gerade keine eigene ärztliche Leitung für jeden Standort fordere. Im Wortlaut der Norm finde sich hierfür kein Anhalt.

Daher spreche auch die rechtshistorische Entwicklung nicht dafür, dass der Gesetzgeber von Anfang an eine effektive ärztliche Leitung am Standort der Leistungserbringung zugrunde gelegt habe. Aufgrund der Regelung des § 118 Abs. 4 SGB V könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den Fall, dass ein Krankenhaus mehrere Standorte habe, die nur unter „einer“ ständigen ärztlichen Leitung stehen, übersehen habe.

Auch vor dem Hintergrund der Ausstattungsverpflichtung des § 118 Abs. 1 Satz 3 SGB V könne nicht von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden. Der Gesetzgeber gehe an dieser Stelle explizit auf die ärztliche Ausstattung der PIA ein; davon dass er daneben - ungeschrieben - eine gesonderte ärztliche Leitung der PIA voraussetze, könne schwerlich ausgegangen werden.

Unabhängig vom Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke könne auch eine analoge Anwendung des § 118 Abs. 2 das Erfordernis einer gesonderten ärztlichen Leitung nicht begründen, weil dieses gar nicht Regelungsinhalt des § 118 Abs. 2 SGB V sei.

Auch eine analoge Anwendung der Regelung oder Rechtsprechung zu MVZ komme mangels vergleichbarer Interessenslage nicht in Betracht. Bei MVZs handle es sich, ebenso wie bei den Versorgungszentren nach § 119c SGB V um eigenständige, an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Einrichtungen, bei denen die maßgeblichen Vorschriften die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidungen vom Träger sicherstellen sollen.

Entscheidung des Bayerischen LSG

Das Bayerische Landessozialgericht hat die Entscheidung des SG München in vollem Umfang inhaltlich bestätigt.

Bemerkenswert ist die Aussage des Gerichts gleich zu Beginn der Urteilsbegründung, dass „die Berufung schon insoweit falsch ansetzt, als sie meint, dass zwischen der ärztlichen Leitung des Psychiatrischen Krankenhauses einerseits und ärztlicher Leitung einer vermeintlich entstandenen Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) differenziert werden müsse. Eine ärztliche Leitung einer PIA ist vielmehr nicht festzustellen. Die Nennung der ärztlichen Leitung des Psychiatrischen Krankenhauses auch im Hinblick auf dessen ambulante Tätigkeit im Bescheid ist statthaft. Mit dieser Modifizierung ist der Tenor der sozialgerichtlichen Entscheidung zu bestätigen.“

Das Bay LSG folgt dem SG München dahingehend, dass § 118 Abs. 1 SGB V kein ungeschriebenes Tatbestandserfordernis einer gesonderten fachlich-medizinisch ärztlichen Leitung für den Tätigkeitsteil des zugelassenen psychiatrischen Krankenhauses, der auf der Grundlage der Ermächtigung erbracht wird, enthalte. Auch eine planwidrige Regelungslücke liege nicht vor.

Das Gericht wählt deutliche Worte, wenn es ausführt: „Damit fehlt aber jede Rechtsgrundlage dafür, in Ansehung des ambulanten Handelns aufgrund der Ermächtigung unter Annahme einer planwidrigen Regelungslücke oder sogar eines ungeschriebenen Tatbestandmerkmals das Erfordernis einer zweiten, gesonderten ärztlichen Leitung aufzustellen. Auch fehlt jede Rechtsgrundlage dafür anzunehmen, dass die ärztliche Leitung der PIA dort ständig (halbschichtig) mitarbeiten, in den Betriebsablauf fest eingebunden bzw. zeitlich anwesend sein muss.“

Für den Fall einer faktischen Nichtleitung hält das Gericht ein Tätigwerden der Zulassungsbehörden für zulässig: „Deshalb hält der Senat die Zulassungsgremien für berechtigt, mit Blick auf den ambulanten Bereich das tatsächliche Vorhandensein einer ärztlichen Leitung oder deren wirksame Ausübung über überwachte Vertreter, möglicherweise im Hinblick auf fehlende zeitliche Kapazität des ärztlichen Leiters oder des Vertreters zu verneinen, sofern die ambulante Behandlung der Versicherten dafür Anhaltspunkte liefert. Jedoch darf das tatsächliche Nichtvorhandensein einer Leitung nicht mit der Begründung verneint werden, der Umfang der zuvor übernommenen Leitungsaufgaben, auch die hinsichtlich der ambulanten Tätigkeit, lassen bereits eine Nichtwahrnehmung einer ordentlichen fachlich-psychiatrischen der ambulanten Institutstätigkeit annehmen.“

Fazit

Die Entscheidung des Bay LSG bestätigt die vom Krankenhaus von Anfang an vertretene Rechtsauffassung, dass es für die Ermächtigung nach § 118 Abs. 1 SGB V keiner gesonderten ärztlichen Leitung bedarf.

Das Bay LSG hat die Revision wegen Grundsätzlichkeit zugelassen.