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BSG konkretisiert die Anforderungen an eine fortführungsfähige Praxis

Mit erst jetzt veröffentlichtem Urteil vom 23. März 2016 (Az.: B 6 KA 9/15 R) hat das Bundessozialgericht klargestellt, dass es für die Beurteilung des Vorliegens einer fortführungsfähigen Praxis aus Gründen des effektiven Rechtschutzes sowohl hinsichtlich der rechtlichen, als auch der tatsächlichen Anforderungen auf die Situation im Zeitpunkt der Antragsstellung zur Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens ankomme.

Hintergrund

Dem Praxisabgeber wurde seine Zulassung bestandskräftig zum 1. Februar 2011 entzogen.

Einen ersten, kurz zuvor am 19. November 2010 gestellten Antrag auf Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes nahm der Kläger am 15. Februar 2011, acht Tage vor der Sitzung des Zulassungsausschusses, zurück. Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits drei Bewerbungen von Medizinischen Versorgungszentren vor.

Im März 2011 stellte der Kläger einen zweiten Antrag, welchen er am 08. Juni 2011, dem Sitzungstag des Zulassungsausschusses, wieder zurücknahm.

Zwei Tage nach dieser Rücknahme stellte er erneut einen Antrag auf Ausschreibung, dem die KV unter Festlegung einer verkürzten Bewerbungsfrist nachkam. Sowohl die Bewerbungsfrist als auch die Frist für die Einreichung eines Zulassungsantrages endeten binnen sechs Monaten nach Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit des Klägers. In diesem Verfahren bewarb sich auch der „Wunschkandidat" des Klägers, der Beigeladene zu 1), um den Vertragsarztsitz. Mit diesem war der Kläger bereits kaufpreiseinig. Daneben bewarben sich noch zwei MVZ um den Vertragsarztsitz.

Der „Wunschkandidat" hatte in der Sitzung des Zulassungsausschusses vom 14.09.2011 aber angegeben, aufgrund eines laufenden Beschäftigungsverhältnisses erst zum 01.04.2012 vertragsärztlich tätig werden zu können.

Sowohl der Zulassungsausschuss, als auch der Berufungsausschuss lehnten die Anträge ab. Beide Ausschüsse gingen davon aus, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung kein fortführungsfähiges Praxissubstrat mehr vorlag. Eine Zulassung des „Wunschkandidaten" sei nicht möglich, da dieser seine vertragsärztliche Tätigkeit nicht innerhalb von drei Monaten aufnehmen könne. Die Anträge der MVZ seien abzulehnen, da insoweit keine Kaufpreiseinigung vorliege.

Das SG München (Az. S 38 KA 1/12) und auch das LSG München (Az. L 12 KA 57/13) bestätigten dies. Das LSG führte dazu aus, es bestehe im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz, und damit 3½ Jahre nach Ende der vertragsärztlichen Tätigkeit des Klägers, zweifellos kein fortführungsfähiges Praxissubstrat mehr. Zudem könne bereits aufgrund der Tatsache, dass die Zulassungsentziehung des Klägers zum 1. Februar 2011 bestandkräftig geworden sei, keine Übertragung auf einen Nachfolger mehr erfolgen.

Ausführungen des BSG

Dieser Auffassung hat das BSG in der vorliegenden Entscheidung eine Absage erteilt und verwies den Rechtsstreit zurück.

Die Annahme einer fortführungsfähigen Praxis scheitere nicht bereits an der vor Abschluss des Nachbesetzungsverfahrens eingetretenen Bestandskraft der Zulassungsentziehung. Die insoweit zu der Entziehung wegen Untätigkeit ergangene Rechtsprechung sei nicht auf die vorliegende Entziehung wegen Verletzung vertragsärztlicher Pflichten übertragbar. Andernfalls wäre der Wegfall der Nachbesetzungsmöglichkeit regelmäßige Folge der Zulassungsentziehung wegen Pflichtverletzung. Diese Sanktion sei gesetzlich aber nicht vorgesehen.

Aus Gründen des effektiven Rechtschutzes sei daneben für die Annahme einer fortführungsfähigen Praxis auf den Zeitpunkt der Antragsstellung auf Ausschreibung abzustellen. Der Kläger könne wegen der Entziehung, wie im Falle der Drittanfechtung, den Verfall des Praxissubstrats während des laufenden gerichtlichen Verfahrens gerade nicht verhindern. Eine andere Beurteilung würde die Durchsetzbarkeit des Verwertungsrechts in unzulässiger Weise verkürzen. Das Recht auf Praxisverwertung bestehe auch bei Zulassungsentziehung.
Zum Zeitpunkt des maßgeblichen dritten Antrags habe die Fortführungsfähigkeit der Praxis noch vorgelegen, da allein der zwischen Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit und Antragsstellung verstrichene Zeitraum von viereinhalb Monaten die Annahme des Wegfalls – entgegen der Feststellungen der Vorinstanzen - nicht rechtfertige.

Mangels weiterer Sachverhaltsaufklärung im Verwaltungsverfahren stehe auch nicht fest, dass es dem „Wunschkandidaten" gänzlich unmöglich war, seine vertragsärztliche Tätigkeit innerhalb der 3-Monats-Frist des § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV aufzunehmen. Auch sei eine Verlängerung dieser Frist nicht gänzlich ausgeschlossen.

Letztlich greife auch die Ablehnung der Anträge der MVZ wegen fehlender Kaufpreiseinigung nicht, da vorliegend bereits die Höhe des Verkehrswertes mangels Angaben des Klägers hierzu offen war.

Fazit

Das BSG bestätigt mit dieser Entscheidung seine Rechtsprechung, wonach es keine festen zeitlichen Grenzen für die Ablehnung der Fortführungsfähigkeit einer Praxis gibt und die Beurteilung stets einzelfallbezogen zu erfolgen hat. Es gab dem LSG aber auch auf, zu prüfen, ob das Nachbesetzungsrecht zum Zeitpunkt der dritten Antragsstellung noch bestand, oder ob der Kläger hier missbräuchlich durch die mehrfache Antragsrücknahme auf das Zulassungsverfahren eingewirkt hat.