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BVerfG: § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV betreffend Entzug vertragsärztlicher Zulassung bei dreimonatiger Nichtaufnahme nichtig

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte in seiner Entscheidung vom 13. Mai 2015 (B 6 KA 25/14 R) die Beendigung der Zulassung kraft Gesetzes auf Grundlage des § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV festgestellt, weil ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) seine Tätigkeit am „falschen Ort" und damit nicht aufgenommen habe (vgl. Seufert Mandanteninformation vom 2. Juli 2015).

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gab einer Verfassungsbeschwerde nun teilweise statt und erklärte mit Entscheidung vom 26. September 2016 (1 BvR 1326/15) § 19 Abs. 3 Zulassungsverordnung Ärzte (Ärzte-ZV) für nichtig und hob u.a. die Entscheidung des BSG auf. Das BSG muss nun erneut über den Fall entscheiden.

Sachverhalt

Das beschwerdeführende MVZ hatte nach seiner Zulassung entgegen seiner Aufnahmeanzeige die vertragsärztliche Tätigkeit ca. eineinhalb Jahre nicht an seinem Vertragsarztsitz ausgeübt, sondern die Leistungen wegen Bauverzuges in einem benachbarten Gebäude erbracht und abgerechnet.

Der Zulassungsausschuss (ZA) entzog daraufhin im Mai 2010 die Zulassung. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde zurückgewiesen. Der Berufungsausschuss (BA) stellte mit Verweis auf § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV das Ende der Zulassung bereits zum

März 2009 Ärzte-ZV fest, weil das MVZ im gesperrten Planungsbereich die Tätigkeit an seinem Sitz nicht innerhalb von drei Monaten aufgenommen habe. Am Ende des Instanzenzuges bestätigte schließlich das BSG die Beendigung der Zulassung kraft Gesetzes.

Entscheidungsgründe

Das BVerfG entschied nun, dass die Entscheidung des BSG die Grundrechte des MVZ auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG verletze. Die Regelung in § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV halte sich nicht im Rahmen der parlamentarischen Ermächtigung und sei daher nichtig. § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB V ermächtige nur dazu, „das Nähere" über die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zu regeln. Der vom Verordnungsgeber in § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV vorgesehene Regelungsinhalt beschränke sich aber nicht auf die Ausgestaltung bestehender Beendigungstatbestände für die Zulassung (Tod, Verzicht, Befristung, Wegzug, vgl. § 95 Abs. 7 SGB V), sondern führe einen neuen Beendigungstatbestand ein (Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit). In der angegriffenen Entscheidung hätte § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV daher nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden dürfen.

Auswirkungen

Die Entscheidung des BVerfG ändert nichts an der Verpflichtung von Vertragsärzten/ MVZ, im nicht gesperrten Planungsbereich die Tätigkeit am Vertragsarztsitz innerhalb des im Zulassungsbeschluss festgesetzten Zeitpunkt aufzunehmen (§ 19 Abs. 2 Ärzte-ZV). Welche Frist im gesperrten Planungsbereich einzuhalten ist, nachdem § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV nichtig ist, ist derzeit offen. Die Tätigkeitsaufnahme am „falschen Ort" bleibt jedoch stets unzulässig.

Nach wie vor kann dem Vertragsarzt/ MVZ die Zulassung wegen Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten (hier die Leistungserbringung am „falschen Ort" bzw. wegen Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit) entzogen werden (§ 95 Abs. 6 SGB V). Aber anders als bei der Beendigung kraft Gesetzes, erfolgt der Entzug durch Entscheidung des ZA, der keine Rückwirkung hat. Darüber hinaus stehen dem Betroffenen die Möglichkeit des Widerspruchs und der Klage gegen die Entscheidung der Zulassungsgremien zu, die grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben.

Fazit

Der Beschluss des BVerfG ist zu begrüßen. Das Gericht setzt dem Verordnungsgeber klare Grenzen bei der Ausgestaltung der Ärzte-ZV.

Die Entscheidung stärkt die Rechte der Vertragsärzte/MVZ bei verspäteter Tätigkeitsaufnahme im gesperrten Planungsbereich. Der ZA hat sich im Falle eines Verstoßes - wie in jedem Fall der Zulassungsentziehung - mit dem konkreten Einzelfall zu befassen und die strengen Voraussetzungen einer Entziehung zu prüfen. Außerdem kommt vor der Entziehung auch das Ruhen der Zulassung als milderes Mittel in Betracht (§ 95 Abs. 5 SGB V); insgesamt bestehen für Vertragsärzte/MVZ bessere Rechtsschutzmöglichkeiten als bei einer Beendigung der Zulassung kraft Gesetzes.

Welche neue Fristenregelung der Verordnungsgeber für die Tätigkeitsaufnahme im gesperrten Planungsbereich anstelle des bisherigen § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV vorsehen wird, bleibt abzuwarten.