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EuGH bestätigt BAG zu dynamischen Bezugnahmeklauseln

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung dynamischer Bezugnahmeklauseln und deren Fortgeltung über einen Betriebsübergang hinaus hat doch weiter Bestand. Dies ist das Ergebnis eines Vorabentscheidungsersuchens, über das der EuGH am 27. April 2017 zu entscheiden hatte:

1. Sachverhalt

Das BAG hatte mit seinem Beschluss vom 17. Juni 2015, Az. 4 AZR 61/14 (A), den EuGH um die Beantwortung der Frage gebeten, ob seine bisherige Rechtsprechung zur Auslegung dynamischer Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen mit Art. 3 der Betriebsübergangsrichtlinie (RL 2001/23/EG) vereinbar ist.
Zweifel hieran kamen auf, nachdem der EuGH mit der so genannten Alemo-Herron-Entscheidung (EuGH vom 18. Juli 2013, Az. C 426/11) für einen nach englischem Recht zu entscheidenden Fall feststellte, dass dynamische Bezugnahmeklauseln einen Betriebserwerber nicht zur Fortzahlung der tarifvertraglichen Vergütung verpflichten dürfen, wenn der Betriebserwerber die im Arbeitsvertrag erwähnten Tarifverträge nicht selbst durch Teilnahme an den Tarifvertragsverhandlungen beeinflussen kann. Da das BAG eine Übertragbarkeit der Alemo-Heron-Entscheidung auf deutsches Recht nicht ausschließen mochte, legte es dem EuGH den folgenden Sachverhalt zur Vorabentscheidung vor:

Arbeitnehmer eines ursprünglich kommunalen Krankenhauses – beide Gewerkschaftsmitglieder – vereinbarten mit dem Arbeitgeber arbeitsvertraglich die Geltung der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes (hier: BMT-G II). Im Zuge mehrerer Betriebsübergänge wurden die Betriebsteile, in denen die Arbeitnehmer arbeiteten, privatisiert. Über Personalüberleitungsverträge wurde den Arbeitnehmern weiterhin die dynamische Anwendung des BMT-G II und künftiger, ihn ersetzender Tarifverträge zugesichert. Später wurden diese Betriebsteile von einem privaten Krankenhausträger – im Wege eines Betriebsübergangs – übernommen, der nicht selbst kollektivrechtlich an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gebunden war. Tariflohnerhöhungen nach dem Betriebsübergang wurden von dem privaten Krankenhausträger an die Arbeitnehmer nicht weitergegeben.

Die hiergegen gerichtete Klage der Arbeitnehmer hatte erst- und zweitinstanzlich Erfolg. Das BAG setzte die Revisionsverfahren aus und bat den EuGH um Entscheidung über die Frage, ob die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Auslegung dynamischer Bezugnahmeklauseln nach Betriebsübergängen mit Europarecht vereinbar sei.

In dem Vorlagebeschluss kündigte das BAG an, an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten zu wollen. Das BAG begründete dies mit der Trennung zwischen privatautonomen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und kollektivrechtlich geregelten Arbeitsbedingungen, auf die allein sich die Betriebsübergangsrichtlinie beziehe. Abweichende individualvertragliche Vereinbarungen sollten nach Auffassung des BAG nicht von der Betriebsübergangsrichtlinie erfasst werden. Außerdem wies das BAG darauf hin, dass nach nationalem – deutschem – Recht der Arbeitgeber ausreichende Möglichkeiten für die Anpassung des Arbeitsvertrages habe und sich zum Beispiel über Änderungsvertrag oder Änderungskündigung von der arbeitsvertraglich vereinbarten Tarifbindung lösen könne. Diese Konstellation sei daher nicht mit dem der Alemo-Herron-Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt zu vergleichen, da dort über eine kollektivrechtliche Fortgeltung der Tarifverträge zu entscheiden war und der Arbeitgeber nur über eine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband auf die Entwicklung dieser Tarifverträge und damit die Arbeitsbedingungen hätte Einfluss nehmen können.

2. Entscheidung des EuGH

Einigermaßen überraschend folgte der EuGH der Rechtsauffassung des BAG. Überraschend deswegen, weil der Generalanwalt des EuGH zuvor empfohlen hatte, die Rechtsprechung des BAG für europarechtswidrig zu erklären und der EuGH üblicherweise den Entscheidungsvorschlägen des Generalanwalts folgt.

Zur Begründung führt der EuGH aus, zwar weiterhin an den Grundaussagen der Alemo-Herron-Entscheidung festzuhalten. Der Betriebserwerber müsse also grundsätzlich rechtlich dazu in der Lage sein, nach einem Betriebsübergang Einfluss auf die Entwicklung der Arbeitsbedingungen der übernommenen Arbeitnehmer zu haben. Der EuGH teilte allerdings die Auffassung des BAG, dass dies nach deutschem Recht jedem Betriebserwerber auch bei arbeitsvertraglich vereinbarten dynamischen Bezugnahmeklauseln möglich sei.

Der EuGH folgte damit nicht der Argumentation von Asklepios, wonach die von dem BAG angeführten Möglichkeiten der Änderung der Arbeitsbedingungen (Änderungskündigung und Änderungsvereinbarung) de facto gar nicht bestünden bzw. nicht umsetzbar seien. Nach Auffassung des EuGH soll es genügen, wenn nach nationalem Recht überhaupt sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Betriebserwerber vorgesehen sind. Über die Frage ihrer praktischen Umsetzbarkeit habe er hingegen nicht zu entscheiden. Die Beantwortung dieser Frage sei Sache der nationalen Gerichte und damit des BAG.

3. Fazit

Für das deutsche Recht bleibt es bei der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BAG zur Auslegung dynamischer Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen. Auch zukünftig haben solche Bezugnahmeklauseln – sofern sie nach dem 1. Januar 2002 (Schuldrechtsreform) vereinbart wurden – im Regelfall anspruchsbegründende Wirkung. Verweisen solche Bezugnahmeklauseln auf bestimmte Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung, haben Arbeitnehmer auch nach einem Betriebsübergang Anspruch auf Weitergabe zukünftiger Tariflohnerhöhungen. Der Umstand, dass der Arbeitgeber nicht selbst Mitglied der tarifvertragschließenden Partei ist und möglicherweise selbst an andere – z. B. Haustarifverträge – gebunden ist, ändert hieran nichts.

Allerdings kann im Einzelfall durchaus etwas anderes gelten: So hat das BAG ausdrücklich klargestellt, dass eine Bezugnahmeklausel auch nach dem 1. Januar 2002 eine statische und keine dynamische Bezugnahme (Gleichstellungsabrede) beinhalten kann, wenn es „innerhalb oder außerhalb der Vertragsurkunde Umstände gibt, die diese Annahme rechtfertigen" (BAG, NZA 2006, S. 607, 609).

Es bleibt deshalb dabei, dass keine generelle Beurteilung erfolgen kann, sondern die Wirkung von Bezugnahmeklauseln jeweils im Einzelfall zu bewerten ist.